Das ritterliche Menschenbild verliert nicht seine Aktualität
„Hochmeister Ildefons kam jedes Jahr zum Professjubiläum nach Passau. Das Pontifikalamt in St. Nikola war für die Ministranten immer eine besondere Herausforderung. Nachher waren wir aber zum Essen mit den Schwestern, den Gästen und natürlich mit dem Hochmeister im Konvent eingeladen. Nachdem ich von Passau weg gegangen war, hatte ich längere Zeit keine Beziehungen zum Deutschen Orden. Als ich aber 2008 nach Wien berufen wurde, stellte ich zu meiner Freude fest, dass vier Studenten des Deutschen Ordens aus Tschechien meine Vorlesungen und Seminare besuchen."
Welche Momente aus der Geschichte des Deutschen Ordens finden Sie als Kirchenhistoriker „am interessantesten"?
„Der Deutsche Orden hat eine reiche und faszinierende Geschichte. Einerseits war der Orden, v.a. im Mittelalter ein bedeutender politischer Faktor, andererseits durchlief er zahlreiche, teils tiefgreifende Veränderungen. Lassen Sie mich einige Episoden herausgreifen: Ich denke zunächst an die Anfangszeit des Ordens. Wenn sich im 12. und 13. Jahrhundert Ritter zu geistlichen Gemeinschaft zusammenschlossen, um eine besondere Form der Christusnachfolge zu pflegen, so kam darin eine ganz neue Spiritualität zum Ausdruck, die einem neuen Welt-, Menschen- und Kirchenbild entsprach. Nicht mehr nur die Kleriker, sondern alle Stände des christlichen Volkes suchten jetzt in besonderer Weise das evangeliumsgemäße Leben zu verwirklichen, in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern und Lebenskontexten. So gesehen darf man die Ritterorden als Teil einer frühen Laienbewegung betrachten. Dazu kommen die Ursprünge des Ordens im Hospital, worin Rittertum und traditionelle Krankenpflege eine interessante Verbindung eingingen.
Weitere, äußerst spannende und spannungsreiche Momente der Ordensgeschichte waren die Neuorientierungen, zu denen sich der Orden in Umbruchszeiten gezwungen sah. Hier denkt man etwa an das späte Mittelalter, als mit den Kreuzzügen auch die Existenz der Ritterorden in Frage gestellt wurde. Einer geradezu existenziellen Herausforderung sah sich der Orden in der Reformation gegenübergestellt, als der Hochmeister Albrecht von Brandenburg das protestantische Bekenntnis annahm und der Ordenssstaat in Ostpreussen verloren ging. Nicht minder gravierend für den Orden waren die Säkularisierungen im Zuge der Napoleonischen Kriege und die Transformation des Ordens nach dem Untergang der Habsburger Monarchie. Für den Kirchenhistoriker sind diese Umbrüche auch deshalb sehr lehrreich, weil sie die Lebendigkeit einer Gemeinschaft zeigen, die von Idealen getragen wird, die tiefer gründen als ein nur vordergründiger Daseinszweck."
Kann man von einer „geschichtlichen Rolle" der Ritterorden im Mittelalter sprechen?
„Den Ritterorden kam im hohen Mittelalter zweifelsohne eine Rolle zu, die wesentliche Züge der Kirche und der Gesellschaft in jener Zeit zum Ausdruck brachte. Ohne die Propagierung der Kreuzzüge wären die Ritterorden wohl nicht entstanden. Aber ehe man in diesem Zusammenhang Schlagworte gebraucht, wie „Militarisierung des Christentums" oder „christliche Domestizierung des Kriegshandwerks" sollte man die Ritterorden als spezielle Form einer neuen Spiritualität sehen, die allen Ständen die Möglichkeit eröffnete, ihren jeweiligen Beitrag in der Verbreitung des Evangeliums zu leisten. Dass damit auch ein besonderes ritterliches Ideal geprägt wurde, in dem sich ein Tugendideal mit monastischen Frömmigkeitsformen verband, blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Menschenbild, aber auch auf die Ansichten von Krieg und Militärdienst im christlichen Kontext."
Wirken aber heute die Kreuzzüge nicht besonders anstößig? Man fragt ja etwa auch, wie ein Heiliger wie Bernhard von Clairvaux den Krieg predigen konnte.
„Die Kreuzzüge wurden immer auch von den Ritterorden mitgetragen, selbst wenn sie nicht die riesigen Kontingente gestellt haben, die Könige und Kaiser aufstellten. Aus heutiger Sicht darf man bedauern, dass der „Kampf gegen den Unglauben" oder die „Befreiung der heiligen Stätten" konkret in kriegerische und expansionistische Ziele mündete, wodurch das Evangelium letzten Endes pervertiert wurde. Die Kreuzzugsaufrufe Bernhards von Clairvaux führen deutlich vor Augen, wie sehr Frömmigkeit und Glaubenseifer immer auch bedroht sind, das rechte Maß zu verlieren und in Zelotentum zu münden. Die Ritterorden waren jedenfalls überzeugt, eine wichtige Rolle in der Verbreitung und Verteidigung des Christentums zu spielen. Kirche und Christentum im Mittelalter waren aber Größen, die von Politik und politischen Handlungsmotiven nicht getrennt werden können."
Mit solcher „kriegerischen" Sicht einer Mission kann man sich heute wohl nicht anfreunden...
„Nicht mehr, Gott sei Dank! Wenn auch im Mittelalter der Kreuzzug die Hauptaufgabe der Ritterorden war, so darf man aber nicht vergessen, dass gerade der Deutsche Orden als nicht unbedeutender Reichsstand und Teil des Römischen Reiches innerhalb desselben zur Friedenssicherung und zum politischen Kräftegleichgewicht beigetragen hat. Der Orden und seine Balleien im Reichsgebiet waren ja man unmittelbar dem Kaiser unterstellt und damit auch seiner Schiedsrichterautorität. Ganz abgesehen davon, dass diese Territorien in aller Regel sehr gut bewirtschaftet und verwaltet wurden. Schließlich möge man bedenken, dass die europäischen Kriege der Neuzeit kaum mehr religiös motiviert waren, sondern aus dem ungezügelten Hegemonialstreben der großen Nationalstaaten entstanden. Ähnlich müsste man über die Kolonialisierung in der Neuzeit und ihre wahren Motive urteilen."
Welche Rolle haben die Ritterorden in der neueren Geschichtsschreibung gespielt?
„In dem Maße wie die Ritterorden politisch und militärisch an Bedeutung verloren, wurden sie propagandistisch vereinnahmt. Im Fall des Deutschen Ordens gilt dies v.a. hinsichtlich der nationalistischen Ambitionen des Deutschen Reichs im 19. und 20. Jahrhundert. In jüngster Zeit wird vermehrt Kreuzzugsrhetorik mit fremdenfeindlichen und islamophoben Absichten gepflegt. Das kaltblütige Attentat in Norwegen im Juli dieses Jahres hat die Pervertierung dieses „modernen Kreuzrittertums" drastisch vor Augen geführt, als sich der Attentäter zwar explizit als Kreuzritters deklarierte, von konkreten Glaubensinhalten des Christentums jedoch distanzierte.
Blickt man hingegen auf das ursprüngliche Ideal des geistlichen Ritters, so stand neben den religiösen Pflichten v.a. auch die Formung der Persönlichkeit im Vordergrund. Diese Persönlichkeitsbildung, nämlich ein Streben nach „ritterlichen", christlichen Tugenden auf der Basis religiöser, monastischer Gelübde, verbunden mit dem Einsatz für eine christliche (und damit humane) Welt war ein Proprium der Ritterorden. Die Metapher vom „Kampf" gegen den Unglauben bzw. für den Glauben umfasst nämlich immer auch eine persönliche aszetische Bedeutung, insofern der Feind der Kirche und des Glaubens mit Vorliebe in jedem einzelnen Christen wütet. Solcher Kampf richtet sich dann in erster Linie gegen die eigenen Laster und Untugenden, nicht gegen Leib und Leben anderer."
Aus aktuellem Anlass: Gibt es in der Kirchengeschichte ein Ähnlichkeit zu der Verbundenheit des Deutschen Ordens mit dem Haus Habsburg?
„Die Verbindung des Hauses Habsburg mit dem Deutschen Orden ist einzigartig und wohl ohne Parallele. Dass sich das österreichische Kaiserhaus so eng an den Orden band - seit dem 17. Jahrhundert waren ja fast alle Hochmeister Habsburger - hing nicht nur mit der "Versorgung" der nachgeborenen Söhne des Herrschers zusammen, sondern war auch Ausdruck der Verbundenheit und Verantwortung, die man dem Orden gegenüber hegte. Von der Verbindung profitierten gewiss beide: der Orden verdankte den Habsburgern sein Überleben und Fortbestand in den stürmischen Zeiten etwa nach dem Wiener Kongress, das Haus Habsburg wurde umgekehrt durch den Orden immer auch an seine alten kaiserlichen und religiösen Pflichten erinnert."
Welche „Zeichen der Zeit" nehmen Sie für die Ritterorden heute wahr? Wie könnten sie ihr Erbe für die heutige Kirche und für die heutige Welt fruchtbar machen?
„Der deutsche Orden hat zwar nach seiner Neuausrichtung im Jahr 1923 als Priester- bzw. Schwesterngemeinschaft das Institut des geistlichen Rittertums aufgegeben. Gleichwohl steht der Orden zu seinem Erbe, nicht zuletzt durch die Ehrenritterschaft und das Familiareninstitut, das den Orden darin unterstützt, die zahlreichen karitativen Einrichtungen zu erhalten. In diesem vielfältigen, teils sehr kostenintensiven und hochspezialisierten karitativen Engagement lebt die Ursprungsidee des Ordens weiter, der ja aus einem Hospital hervorging. Das Familiareninstitut leistet hierfür, soweit ich weiß, einen nicht unwesentlichen Beitrag. In dieser Form des Einsatzes von Laien für Ordensbelange und gleichzeitig einer geistlichen Betreuung und Nähe des Ordens für die Familiaren lebt die Idee der Ritterorden lebendiger fort, als man auf den ersten Blick in annimmt, nämlich als besondere Form der Laienspiritualität, in der sich Weltverantwortung, Kirchentreue und Frömmigkeit verbinden. Die Familiaren identifizieren sich mit diesem „ritterlichen Ideal", das ich oben bereits kurz angesprochen habe, hinter dem sich ein die Zeiten überdauerndes, humanes Menschenbild kund tut, das den Menschen nicht verzweckt und ihn in seiner Ganzheitlichkeit wahrnimmt. Für dieses Menschbild darf man auch heute noch eintreten und „kämpfen", oftmals in aller Stille, manchmal aber auch in der Öffentlichkeit. Darin wird auch ein modernes und dennoch zeitlos altes Verständnis von Mission und Evangelisierung verwirklicht.
Vielleicht sollte man aber auch an die vielen Pfarreien erinnern, in denen der Deutsche Orden teils seit hunderten von Jahren Seelsorge ausübt, weil sie mit den früheren Grundherrschaften verbunden waren. In Zeiten abnehmender Priesterzahlen und der Schaffung von neuen „Seelsorgeräumen" können solch alte Pfarreien den dort lebenden Menschen einen Sinn von Verlässlichkeit, Verwurzelung und Tradition geben, die Identität schafft und bewahrt. In unserer rastlosen Zeit der vielen Entwurzelungen wäre dies nicht der schlechteste Dienst am Menschen.